11. Der softe Mittelweg - 10.03.2017

Der Abschied naht. Nach knapp 30 Jahren soll es 2018, spätestens aber 2022, soweit sein: Das Integrated Services Digital Network, kurz ISDN, gehört hierzulande der Vergangenheit an und weicht dem IP-Netz, das große und kleine Betreiber schon seit einiger Zeit vorantreiben. Für die Unternehmenswelt geht mit dem Wechsel ein weitreichender Umbruch einher. Immerhin gibt es vom Telefon bis hin zur Alarmanlage verschiedenste Geräte, die noch auf ISDN basieren.

Es entsteht Handlungsbedarf, besonders in Hinblick auf Telefonanlagen.

Ist die PBX nicht IP-ready, bleibt am Umstellungstag die Leitung tot, was im besten Fall einen unliebsamen Ausfall, im schlimmsten Fall jedoch eine geschäftskritische Störung darstellt. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, genau zu prüfen, über welche Infrastruktur die Gespräche laufen und ob diese zukunftssicher ist. Ist der Austausch letztlich die einzige Option, bleibt die Qual der Wahl: eine klassische Telefonanlage oder die Migration in die Cloud und damit der Umstieg auf eine IP-Centrex-Lösung. Mit softwarebasierten Systemen, die auf Servern vor Ort betrieben werden, etabliert sich darüber hinaus jedoch zusehends eine Variante, die für viele Unternehmen eine interessante Alternative darstellen könnte. „Wir verzeichnen aktuell bei uns ein wachsendes Interesse an softwarebasierten Telefonanlagen“, erklärt Udo Thermer, Head of Product Development bei Byon, einem Anbieter verschiedener Anlagen-Technologien, der um die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Varianten weiß. „Viele Unternehmen stellen sich die Frage, ob sie bei der IP-Umstellung nicht gleich den nächsten Schritt gehen sollen.“

Flexibilität und Skalierbarkeit

Doch was unterscheidet eine sogenannte Soft-PBX von den technischen Mitbewerbern? Die Telefonanlage verzichtet auf eine dedizierte Hardwarekomponente und wird stattdessen als Software in einer virtuellen Umgebung auf einem Server dargestellt. „In den meisten Fällen ist ein Windows-Server die Grundlage“, erklärt Thermer. Server ist hier wiederum ein weiter Begriff. Der Soft-PBX-Anbieter 3CX wirbt beispielsweise damit, dass seine Anwendung auch auf einem Mini-PC betrieben werden könne, der nicht mehr als 100 Euro kosten soll. Gerade bei einer geringen Anzahl paralleler Gespräche sind die Kosten überschaubar, sie steigen aber entsprechend mit den Anforderungen. „Weitere Hardware ist darüber hinaus aber keine vonnöten“, sagt Marcus Kogel, Sales Manager EMEA bei 3CX. Selbst Tisch- und IP-Telefone seien optional, da Nutzer stattdessen Softphones oder Smartphone-Clients nutzen könnten.

Flexibilität und Skalierbarkeit stellen die großen Vorteile einer Soft-PBX-Lösung dar. Neue Nebenstellen könnten einfach eingerichtet und konfiguriert werden, wie Thermer beschreibt. Darüber hinaus ist gerade in kleinen Unternehmen die nötige Infrastruktur oft schon vorhanden. „Unternehmen, denen die Infrastruktur fehlt, sollten sich hingegen eine lokale Lösung genauer anschauen“, so der Byon-Manager. „Unternehmen, die schnell wachsen oder öfters Anpassungen vornehmen wollen, sollten aber definitiv eine Software-Lösung in Betracht ziehen.“

Nicht zu unterschätzen ist bei diesem Schritt allerdings die Abhängigkeit der Telefonanlage vom Betriebssystem und den verknüpften Anwendungen. Müssen beispielweise Updates aufgespielt werden oder ist ein Server-Neustart notwendig, dann ist auch die Leitung stumm. Je nachdem, wie kritisch die Telefonie für ein Unternehmen ist, kann eine Hardware-Lösung die Nase klar vorne haben. Beim Thema Ausfallsicherheit soll wiederum die Soft-PBX punkten – jedoch nur in Verbindung mit vorhandenen Lösungen. Denn viele Unternehmen setzen bereits auf Failover- oder Backup-Mechanismen, die im Störungsfall auch bei der Telefonanlage greifen. So würden sowohl Ausfallzeiten des Systems verkürzt als auch dem Datenverlust entgegengesteuert, erklärt Kogel.

"Angriffe werden häufiger vorkommen"

Je mehr eine Anwendung in bestehende Lösungen greift, je weiter sie vernetzt ist, umso größer ist auch die Gefahr, dass sie sich zum Einfallstor für Cyber-Kriminelle entwickelt. „Mit dem Wachstum des VoIP-Services ist verständlich, dass auch das VoIP-Hacking zunimmt“, gibt Kogel im Gespräch mit funkschau zu bedenken. „Angriffe wie Voice-Phising, das Abhören von Gesprächen und Unterbrechungen des Kommunikationsservice könnten viele Nutzer durchaus von einem IP-basierten System abschrecken.“ Neben Kogel sagt zwar auch Thermer, dass Angriffe auf softwarebasierte TK-Anlagen in Zukunft häufiger vorkommen werden, was aber hauptsächlich an der steigenden Anzahl der Systeme liege. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass softwarebasierte Telefonanlagen nicht anfälliger für Hacker-Angriffe sind als lokale Systeme“, so der Head of Product Development. „Im Gegenteil: Man kann bei softwarebasierten Anlagen den Grad des Schutzes sogar noch feiner abstimmen, als das bei lokalen Systemen der Fall ist.“

Mehr Individualisierungsspielraum erfordert aber gleichzeitig einen höheren Aufwand. Besonders bei der Integration in bestehende Systeme müssen IT-Abteilungen viele Faktoren beachten, wollen sie das Potenzial der softwarebasierten Lösungen voll ausschöpfen. „Abhängig von der Infrastruktur und den Gegebenheiten des Unternehmens, wie beispielsweise Anzahl der Nebenstellen, der Rufnummern und Anbindung von Datenbanken, ist eine Installation immer eine Herausforderung und jedes Mal individuell zu betrachten“, sagt Thermer. Diverse Stolpersteine könnten eine Umstellung zusätzlich erschweren. „Deshalb ist eine genaue Planung mit entsprechender Vorlaufzeit ein absolutes Muss.“

Ohne Grenzen?

So herausfordernd die weitläufige Implementierung in vorhandene Strukturen sein kann, so chancenreich ist sie auch – gerade in Hinblick auf Investitionsschutz und Zukunftssicherheit. „Software-PBX sind flexibel und werden stets weiterentwickelt, um auf dem neusten Stand der Technik zu sein“, erklärt Kogel. So würden die Hersteller laufend neue Funktionen sowie Standards und Protokolle hinzufügen, die langfristig die Qualität des Service sicherstellen und verbessern sollen. Zusätzlich verfügen die Lösungen in vielen Fällen über offene Schnittstellen, die es ermöglichen, Brücken zu CRM-Systemen zu schlagen oder die Telefonanlage um UCC-Funktionen zu erweitern. Grundsätzlich seien die Möglichkeiten, die heutige Systeme bieten, weit denen der vergangenen Jahre voraus, erklärt Thermer. „Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, dass die technischen und physikalischen Voraussetzungen für das Betreiben einer softwarebasierten Anlage deutlich geringer sind, als sie es noch zu den Zeiten von kühlschrankgroßen Telefonsystemen waren.“ Während Hardware-Systeme irgendwann an physikalische Grenzen stoßen würden, lässt sich die Soft-PBX prinzipiell grenzenlos erweitern.

Ganz ohne Grenzen kommt die softwarebasierte Lösung aber nicht aus. Muss die Telefonanlage mehr leisten, sind auch weitere Server-Kapazitäten notwendig. Mit der Soft-PBX steht jedoch eine zusätzliche Tür offen: die Cloud. Je nach Komplexität des Szenarios soll sich eine Migration vergleichsweise einfach gestalten und sich meist innerhalb eines Tages durchführen lassen. „Es müssen einfach nur die bestehenden Daten und Einstellungen gesichert und auf der neuen Infrastruktur wiederhergestellt werden“, erklärt der 3CX-Sales Manager den Prozess. Eine Neuinstallation sei nicht notwendig.

Gerade für Unternehmen, die aktuell die Anschaffung einer neuen Telefonanlage prüfen, den Komplettumstieg auf eine cloudbasierte Lösung aber noch scheuen, könnte sich der Blick auf eine Soft-PBX lohnen. Aufgrund ihrer flexiblen Architektur stellen sie einen Brückenschlag zwischen den klassischen Hardware-Anlagen und IP-Centrex dar, bieten in Hinblick auf Sicherheit und Funktionsvielfalt einen interessanten Mittelweg, der aber nicht ohne individuelle Herausforderungen einhergeht. Wichtig sind daher eine genaue Planung und gegebenenfalls die Zusammenarbeit mit dem richtigen Technikpartner.

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