Lieferkrise: Aus dem Gleichgewicht

Die Lieferketten in der Elektronikindustrie funktionieren nicht mehr richtig. Dabei ergeben die Knappheit an Chips und Transportprobleme eine fatale Kombination für die Märkte. Ein Corona-Ausbruch in einer chinesischen Hafenstadt, eine plötzliche starke Nachfrage nach Tablets in deutschen Schulen und ein havarierter Frachter im Suezkanal – diese Ereignisse haben nur scheinbar keinen Zusammenhang. Doch in ihrem zeitlichen Zusammentreffen in den vergangenen Monaten haben diese und weitere auf den ersten Blick kleinere Ereignisse eine große Krise ausgelöst, die neben einigen anderen Branchen vor allem Elektronikprodukte stark betrifft.

Diese Lieferkrise ist so groß, dass sie sogar die gesamte wirtschaftliche Erholung in Deutschland gefährdet. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) wird sie die Industrieproduktion noch bis weit ins laufende Sommerquartal hinein belasten: „Für das gesamte Jahr 2021 dürften sich die Verluste für die deutsche Volkswirtschaft auf rund 25 Milliarden Euro belaufen“, schätzt IfW-Konjunkturexperte Klaus-Jürgen Gern. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts haben 80 Prozent der Elektronikhersteller sowie der Autobauer und Zulieferer mittlerweile Probleme, an Chips zu kommen.

TK-Händler stellen sich angesichts immer panischer klingender Meldungen in den Medien die Frage, ob es im kommenden Weihnachtsgeschäft genug Handys und Tablets für ihre Kunden gibt, oder ob sie auf Alternativen ausweichen müssen. Zumindest Preissteigerungen scheinen bei einigen Produkten unausweichlich und werden auch schon umgesetzt.

Immerhin rechnen die Distributoren, die wir zum Thema befragt haben, nicht damit, dass sie komplette Ausfälle bei bestimmten Produktsegmenten haben, doch einzelne Modelle von Smart­phones oder Tablets könnten durchaus betroffen sein. Auch die Hersteller, die sich meist nicht offiziell zum Thema äußern wollen, räumen unter der Hand immer wieder solche Engpässe ein. Bei einem heißt es, dass der Launch neuer Modelle aufgrund fehlender Komponenten auf 2022 verschoben werden muss. Laut einer Analyse von Techthelead.com wurden im ersten Halbjahr 2021 weltweit etwa 310 neue Smartphones vorgestellt, 20 Prozent weniger als im Vorjahr. Eveline Pupeter, Chefin des Herstellers Emporia, berichtete im Interview mit Telecom Handel im Juli zudem über „Preissteigerungen von über 30 Prozent“ bei den Komponenten. Analysten sind sich sicher, dass die Hersteller diese gestiegenen Einkaufspreise für Bauteile an die Endkunden weitergeben werden. Betroffen sind bei Mobiltelefonen vor allem Prozessoren, Displays und Speicherchips, aber laut Apple-CEO Tim Cook auch periphäre Bauteile wie Chips für die Stromzufuhr von Displays oder die Audiocodierung.

Allerdings sind offenbar nicht alle Hersteller gleich stark betroffen, so dass die Krise erhebliche Umwälzungen im Markt bedingen könnte – Gewinner könnte da nicht der mit den besten Smartphones sein, sondern der, der liefern kann.

Risiken für die Kleinen

Vor allem kleinere Smartphone-Schmieden mit weniger Einkaufsvolumen bei den Zulieferern könnten dabei leer ausgehen und in Produktionsproleme kommen, wie unter anderem der CEO von HMD ­Global/Nokia, Florian Seiche, einräumte. Andere wie der Marktführer Samsung, der im Konzern auch Chips und Displays produziert, könnten weniger betroffen sein – wenn nicht, wie jüngst in Vietnam, genau diese ­Fabriken zeitweise durch Corona-Ausbrüche in der Belegschaft lahmgelegt würden.


Neben Preiserhöhungen rechnen Analysten nun auch noch mit anderen Reaktionen der Hersteller, vor allem indem Waren anders geleitet werden. Das geht über die Priorisierung von einzelnen Produkten, Kanälen oder Regionen. Bei letzterem Vorgehen würden Smartphones wohl vorzugsweise in kaufkräftige Länder gehen und in solche, in denen Marktanteile primär verteidigt werden sollen. Deutschland wäre deshalb von einer solchen Maßnahme wohl weniger betroffen, sondern eher Afrika und Südamerika. Auszuschließen ist es aber nicht, wie die Entscheidung von Google zeigt, das Smartphone Pixel 5a nur in den USA und Japan anzubieten.

Neue Prioritäten

Dass einzelne Produkte oder Produktgruppen priorisiert werden, findet dagegen offenbar bereits statt. So könnten Hersteller versucht sein, die Produktion von teureren und margenträchtigeren Oberklassemodellen vorzuziehen und in vor allem in den untersten Preisklassen weniger Geräte anzubieten. Allerdings müssten dazu die entsprechenden Komponenten wie etwa die Snapdragon-Chipsets der 8er-Serie oder hochwertige Kameramodule auch in ausreichender Menge vorhanden sein.


Das größte Risiko für den Fachhandel besteht aber in einer unterschiedlichen Priorisierung der Kanäle bei knapper Ware, auch wenn das die befragten Distributoren von der Hand weisen. Doch einzelne Großabnehmer wie Netzbetreiber oder Großmarktketten könnten von einer besseren Versorgung mit Hardware profitieren, allein schon, weil sie kein Hersteller als Kunden verlieren will. Auch die Frage, ob etwa Apple bei Engpässen die anderen Kanäle genauso behandeln würde wie die eigenen Stores, ist delikat. Am Ende wird es wohl darauf ankommen, wer sich im Handel bereits rechtzeitig – und früher als sonst – die Lager für das kommende Weihnachtsgeschäft gefüllt hat.
Doch wie konnte es zu diesen Engpässen kommen? Eigentlich spielen zwei Krisen zusammen: Logistik und Komponentenverfügbarkeit, beide haben viel mit Corona zu tun. Immer komplexere Produkte, die eine Vielzahl von Komponenten verschiedener Zulieferer aus vielen verschiedenen Ländern benötigen, bedingen ­eine extrem aufwendige Einkaufs- sowie Produktionsplanung und hundertprozentig funktionierende Lieferketten – doch genau das alles wurde ausgehebelt.


Es gibt nur wenige Hersteller von Chips für Elektronikprodukte. TSMC ist der größte Auftragsfertiger Quelle: Vidpen/Shutterstock Zudem ist der Bedarf an Chips aktuell einfach größer als das Angebot. Und das gilt branchenübergreifend, denn wenn eine ­Fabrik für Halbleiter Aufträge eines Smartphone-Herstellers erfüllt, kann sie nicht gleichzeitig andere Chipsets für einen Autohersteller produzieren. Nachdem diese zu Beginn der Corona-Krise in Erwartung ­eines zusammenbrechenden Marktes ihre Bestellungen an Bauteilen drastisch reduziert hatten, nutzten die ITK-Hersteller schnell die frei gewordenen Kapazitäten, da ihre Produkte auch in der Krise gefragt blieben. Die Autohersteller können nun die wieder steigende Nachfrage nach ihren Fahrzeugen nicht befriedigen, da die Chips fehlen, und stellen teilweise sogar die Produktion ein.

Als Gegenmaßnahme den Ausstoß von Chipsets zu steigern, ist nicht so einfach, denn schon bisher liefen die Fabriken der großen Player schon beinahe mit Volllast. Neue Fabriken, wie sie aktuell in den USA von TSMC oder Intel aufgebaut werden, brauchen noch mehrere Jahre bis zum Betriebsbeginn – zumindest haben die Chip-Schmieden durch die stark gestiegenen Umsätze nun viel Geld für Investitionen. Wenn die Produkte dann trotzdem zusammengebaut werden können und versandfertig in der Fabrik in China liegen, geht das Drama aktuell weiter: Die Logistikkrise übernimmt von der Komponentenkrise.


Quelle: Telecom Handel

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