03. Roundtable: Händler diskutieren über das Reizthema Multichannel - 27.11.2015

Wie viel Multichannel braucht der stationäre Handel? Welche Konzepte sind sinnvoll und welche Aktivitäten kosten nur Zeit und Geld? Auf Einladung von Telecom Handel diskutierten vier Fachhändler aus Bayern, dem Münsterland, Rheinland-Pfalz und Berlin über Sinn und Unsinn von Multichannel. Sie alle haben bereits Erfahrung mit dem Online-Geschäft gemacht – die einen schon seit Jahren, die anderen erst seit kurzem.

Mit dabei waren:
Marcel Ehrlich: ist seit gut einem halben Jahr Filialleiter eines Aetka-Shops im rheinland-pfälzischen Bad Neu¬en¬ahr. Seit einigen Monaten ist er zudem mit einem Online-Shop auf eBay vertreten, weiterhin informiert er Kunden und Interessenten via Facebook und YouTube über neue Aktivitäten. Seine Strategie: Der Kunde soll durch die Online-Aktivitäten in den Laden gelockt werden.
Nico Kutschenreuter: betreibt seit 1992 ein Systemhaus in Berlin und bedient vor allem B2B-Kunden. Zu seinem Portfolio gehören Telefonanlagen sowie spezielle Kundenservices wie CRM- oder CTI-Integration. Im Privatkundenbereich vermarktet er Premium-Festnetztelefone. Sein Multichannel-Konzept: Die Beratungs- und Servicekompetenz wird bedingungslos auf alle Online-Aktivitäten übertragen.
Johann Saibel: hat sich lange gegen einen Online-Shop gewehrt, doch vor einigen Monaten wechselte der ehemalige Voda¬fone-Partner zu My-extra und baut im bayerischen Rothenburg ob der Tauber einen „Vernetzten Laden“ auf. Der Anlass für Saibels Gesinnungswandel: Familie, Freunde und Kunden bestellen allesamt Waren im Web, deshalb glaubt er heute, dass man sich diesem Trend nicht (mehr) verschließen kann.
Frank Schipper: ist Inhaber eines Euronics-XXL-Markts (FS Elektrofachmarkt) in Lüdinghausen. Darüber hinaus ist er im Aufsichtsrat von Euronics aktiv und damit eng mit den Multi- und Cross-Channel-Aktivitäten der Kooperation vertraut. Seine Überzeugung ist: Pure Player werden langfristig nicht überleben – die Gewinner werden die Händler sein, die online und offline vertreten sind.

Wie wichtig ist der Online-Auftritt?
Telecom Handel: Sie alle kommen aus dem stationären Handel und tasten sich nun in die Online-Welt vor; die einen schon länger, die anderen haben gerade erst damit begonnen. Offenbar leiden Sie nicht, wie so viele andere Händler, an einer digitalen Allergie ...
Nico Kutschenreuter: Nein, beileibe nicht (lacht). Ohne einen Online-Auftritt kann man als Händler meiner Meinung nach nicht mehr überleben. Das gilt für den B2C-Bereich und auch für das B2B-Segment, in dem ich hauptsächlich tätig bin. Ich brauche meinen Online-Auftritt, um neue Kunden zu erreichen und Bestandskunden zu pflegen.
Frank Schipper: Ich würde sogar noch weiter gehen. Bis auf wenige Ausnahmen, wie beispielsweise Amazon, wird es Pure Player, die nur online oder nur stationär vertreten sind, in einigen Jahren nicht mehr geben. Nur die Vernetzung von online und offline sorgt für die Schlagkraft, die für ein Überleben künftig notwendig ist.

Das sind ja schon einige sehr klare Worte. Herr Saibel, Sie sagen selbst, dass Sie sich bis vor wenigen Monaten einem eigenen Online-Shop verweigert haben. Nun bauen Sie einen vernetzten Laden nach dem Brodos-Konzept auf. Wie kam es zu dem Gesinnungswandel?
Johann Saibel: Familie und Freunde bestellen immer häufiger online Waren, auch deshalb glaube ich, dass man sich diesem Trend nicht verschließen darf. Auch wenn mein Herz in erster Linie für das stationäre Geschäft schlägt. Ich hatte früher eine Vodafone-Partneragentur betrieben und wechselte dann zu My-extra, dort wird der vernetzte Laden sehr forciert und das macht mir den Einstieg natürlich leicht.
Marcel Ehrlich: Wir sind auch erst seit wenigen Monaten online aktiv und haben einen Aetka-Shop auf eBay eingestellt. Dazu poste ich noch Beiträge auf Facebook, auch selbst gedrehte Videos, und nutze verschiedene Kanäle zur Kundenbindung und -gewinnung. So haben wir es geschafft, in nur wenigen Monaten unseren neuen Aetka-Shop in der Gegend bekannt zu machen. Obwohl mein Chef, der noch einen zweiten Shop im selben Ort betreibt, meinen Aktivitäten anfangs skeptisch gegenüberstand, zeigt unser Erfolg nun doch, dass dieser Weg wichtig und richtig ist.

Mit der richtigen Strategie zum Erfolg
Er kann aber auch beschwerlich sein. Die Verbundgruppe Euronics hat ihre Online-Strategie ja mehrmals überworfen. Herr Schipper, Sie sind Euronics-Händler und auch im Aufsichtsrat der Verbundgruppe. Wie kam es dazu?
Schipper: Das Cross-Channel-Projekt von Euronics ist sehr ambitioniert und es gab in der Tat einige Geburtswehen beim Start. Das betraf vor allem die fehlende Integration mit dem Warenwirtschaftssystem, deshalb mussten wir alle Produkte händisch online stellen. Der Aufwand war viel zu groß. Das wurde nun geändert und der Euronics-Marktplatz ist seit März dieses Jahres online. Die Produkte werden nun automatisch eingestellt und meine Mitarbeiter müssen nur mehr Angebote oder Specials manuell einpflegen.
Ehrlich: Bei uns ist die Pflege sehr aufwendig, obwohl der eBay-Shop ebenfalls mit dem Warenwirtschaftssystem Easyfilius von Aetka verbunden ist. Aber ich muss täglich die Preise überprüfen, kontrollieren, was ich einstelle und so weiter. Ein Beispiel: Wenn ich ein Produkt knapp kalkuliert online anbiete und sich dann der Einkaufspreis ändert, gibt es keine Warnung. So ist die Gefahr groß, dass ich das Produkt mit einer Minusmarge verkaufe. Deshalb ist die Kontrolle so wichtig, aber auch so aufwendig. Ein automatisiertes Warnsystem würde da viel helfen.

Herr Kutschenreuter, Sie sind der Einzige in der Runde, der seine Web-Präsenz komplett in Eigenregie aufgesetzt hat und nicht auf die Angebote der Distributoren oder einer Kooperation zurückgreift. Warum?
Kutschenreuter: Die fertigen Systeme, die die Großhändler anbieten, sind sicher nicht schlecht. Aber ich fürchte, man kann kein System mit der Gießkanne ausschütten, dass dann für alle Händler passt. Die Bedürfnisse sind ganz unterschiedlich. Wir übertragen zum Beispiel unser Beratungskonzept konsequent vom stationären Laden auf den Online-Shop. Unser oberstes Ziel ist, einen Kunden so neugierig zu machen, dass er Kontakt mit uns aufnimmt – über Telefon, Chat oder auch Video. Wir sind zudem bis 21 Uhr erreichbar, und die meisten Anrufe kommen zwischen 17 und 21 Uhr.

Herr Schipper, Sie waren wesentlich daran beteiligt, ein zentrales System für Euronics mit aufzubauen. Würden Sie diese These unterstützen, dass jeder für sich eine eigene Lösung braucht?
Schipper: Das ist schwierig zu beantworten, eine goldene Mitte gibt es nicht. Für kooperierte Händler halte ich das Euronics-System schon für sehr führend, weil es aus beiden Welten sehr, sehr viel macht. Sie, Herr Kutschenreuter, haben eine ganz spezielle Richtung, die Sie gehen, für Sie würde ein Marktplatzsystem nicht funktionieren, da gebe ich Ihnen Recht. Für uns war und ist allerdings eine gewisse Schlagkraft entscheidend. Auf dem Euronics-Marktplatz sind derzeit mehr als 50.000 Artikel gelistet und ich habe über die Anbindung an unsere Warenwirtschaft über 7.000 Artikel online, damit können wir schon sehr viel erreichen.

Pflege der Daten nicht einfach
Vielleicht sollten wir hier die Größenverhältnisse vergleichen. Herr Kutschenreuter, Sie haben 400 bis 500 Artikel im Shop, Herr Ehrlich, wie sieht Ihr Ansatz aus?
Ehrlich: Wir haben derzeit rund 160 Artikel online. Das sind eigentlich weniger, als ich ursprünglich geplant hatte. Doch die Pflege nimmt zwei bis drei Stunden täglich in Anspruch, so dass ich das Angebot zurückgefahren habe.

Herr Schipper, ist bei Ihnen die Pflege zen¬tralseitig geregelt?
Schipper: Nein, das kann die Zentrale nicht übernehmen, das müssen wir schon selbst machen. Dafür habe ich zwei Mitarbeiterinnen, die das neben ihren eigentlichen Aufgaben erledigen. Die Pflege nimmt pro Tag rund zwei Stunden in Anspruch. Hauptaufgabe ist neben dem Versand die Aktualisierung des Shops, beispielsweise das Einbinden von Beilagen und Prospekten.

Herr Saibel, Sie haben den ‚Vernetzten Laden‘ getestet. Was haben Sie bereits umgesetzt und wie viele Artikel sind jetzt schon in Ihrem Vernetzten Laden?
Saibel: Mein Online-Shop ist ja identisch mit Brodos.net und listet derzeit 165.000 Artikel. Ich pflege nur Angebote des Tages ein oder lade Fotos hoch, das dauert maximal 15 Minuten am Tag. Den Rest macht das Team von Brodos, ich übernehme auch deren Preisvorschläge.

Dann haben Sie online und offline unterschiedliche Preise?
Saibel: Ja, das kommt vor. Die Kunden akzeptieren das aber auch, denn ich kann immer noch mit den Versandkosten argumentieren, die bei Online-Bestellungen anfallen.
Ehrlich: Das sehe ich auch so, wir haben online günstigere Preise als im Shop, und die Kunden verstehen das auch.
Schipper: Für mich kommt das nicht in Frage, wir haben online und offline dieselben Preise. Alles andere würde den Kunden verwirren.

Vernetzung von online und offline
Herr Saibel, ein zentrales Element des Vernetzten Ladens ist ja der Kiosk, über den Kunden stationär Waren bestellen können, die Sie nicht vorrätig haben. Klappt das gut?
Saibel: Bislang ist die Resonanz eher verhalten, nur wenige Kunden haben dieses Angebot genutzt. Und das, obwohl wir gemeinsam mit dem Kunden am Tablet die Produkte aussuchen und auch beraten.
Schipper: Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das funktioniert. Wenn der Kunde im Geschäft ist, dann möchte er ein Produkt mitnehmen und nicht online bestellen und dann wieder abholen. Umgekehrt aber funktioniert das wunderbar, der Kunde bestellt oder reserviert online und holt die Waren dann ab.

Sie bemerken eine steigende Tendenz an ‚Click & Collect‘- beziehungsweise ‚Click & Reserve‘-Kunden?
Schipper: Unbedingt, immer mehr Kunden bestellen am Sonntag auf der Couch oder morgens im Büro Artikel und holen diese dann bei uns im Shop ab. Für uns ist dies eigentlich die ideale Lösung, wir erhöhen über unser digitales Schaufenster die Frequenz am Point of Sale. Gleichzeitig gibt es aber auch eine ganze Reihe von reinen Online-Einkäufern, die wollen wir natürlich auch bedienen. Wir folgen einfach dem Kunden, er gibt den Takt vor.

Wie wichtig ist es dann, ein großes Sortiment im Web zu haben?
Kutschenreuter: Ich denke, das hängt auch von der Zielgruppe ab. Wenn ich als Systemhaus einen Shop mit mehreren Tausend Artikeln gelistet hätte, dann wüssten die Kunden nicht mehr, was für sie passend ist. Wir haben ein deutlich kleineres Angebot, in dem wir uns aber extrem gut auskennen und alle Kunden auch entsprechend gut beraten können. Das ist unsere Kernkompetenz, und die leben wir online und natürlich auch offline.

Sie befüllen auch regelmäßig Ihren Blog mit Fachbeiträgen. Kommt darüber viel Zulauf?
Kutschenreuter: Unbedingt, ich habe einen Artikel zur All-IP-Umstellung auf unserer Seite, der wurde im vergangenen halben Jahr 35.000 Mal aufgerufen. Der Blog ist für uns ein sehr wichtiges Werbeinstrument, mit dem wir einmal mehr unsere Kompetenz beweisen können. Die großen Kistenschieber können das nicht leisten. Wenn ich einen Shop mit Tausenden Artikeln sehe – oben die teuren Smartphones und unten das Hundefutter im Angebot –, dann kann ich nicht mit kompetenter Beratung rechnen. Und genau diesen Aspekt sollten wir kleineren Händler in den Vordergrund stellen. Das ist unser USP …

Hauptmotivation im Online-Business
Was ist denn Ihre Hauptmotivation im ¬Online-Business: Kunden in den statio¬nären Shop zu führen oder den Umsatz anzu¬kurbeln?
Schipper: Wir folgen hier dem Kunden. Egal, ob ein Kunde nur online bestellt oder die Ware im Shop reserviert und dann abholt, bei uns ist alles möglich. So haben wir beispielsweise auch Services im Online-Angebot: Ein gefrusteter Amazon-Kunde, der sein Smartphone nicht zum Laufen bekommt, kann bei uns einen Einrichtungsservice buchen – auch wenn das Produkt nicht bei uns gekauft wurde.
Kutschenreuter: (lacht) Und diese Kunden gibt es häufig …
Schipper: Ja, genau, diese Kunden können auf unserem Marktplatz den Service buchen und der Auftrag wird regional an den nächsten und passenden Händler vergeben. 200 Euronics-Händler machen derzeit bei dem Projekt mit. Das ist ein wichtiger Service, bei dem wir auch mit Kunden in Kontakt kommen, die eigentlich in erster Linie online bestellen.

Bieten Sie ähnliche Services an?
Kutschenreuter: Wir haben ein internes Netzwerk aufgebaut, über Michael Telecom. Dort gibt es den sogenannten Leadmarket, über den ich Serviceaufträge an regionale Partner vergeben kann. Wenn beispielsweise die Zahnarztpraxis in Bonn ihre bei mir bestellte Anlage doch nicht zum Laufen kriegt, dann kann ich über die Plattform ein Systemhaus suchen, das den Auftrag für mich erledigt. Das funktioniert prima und wir nutzen das sehr häufig. Die Zahnarztpraxis gibt es wirklich und heute früh habe ich die Meldung von dem Bonner Partner bekommen, dass die Anlage läuft.
Schipper: Kommen da bei Ihnen auch viele Aufträge rein?
Kutschenreuter: Ja, und die Aufträge werden immer mehr mit der steigenden Anzahl der teilnehmenden Händler.

Gibt es diesen Vernetzungsgedanken bei Aetka auch und wird er gelebt?
Ehrlich: Aetka hat mit Fragprofis.de ein Endkundenportal entwickelt, in dem Fragen online gestellt werden können. Die Frage wird dann zehn Händlern im PLZ-Gebiet zugeordnet, natürlich nur Händlern mit entsprechender Kompetenz. Derjenige, der als Erster antwortet, wird dann auf Fragprofis.de auch gelistet mit seinem Rat. Wir machen das seit einem halben Jahr sehr regelmäßig und mit großem Erfolg. Ich habe dadurch beispielsweise einen Kunden gewonnen, der bei mir in der Nähe lebt und überrascht war, wie regional das Internet sein kann – und heute kauft die ganze Familie bei uns ein.

Wie viele Anfragen kommen über Fragprofis pro Tag?
Ehrlich: Ich bekomme pro Tag zwischen fünf und 15 Fragen. Aetka hat für die Plattform in den vergangenen Monaten kräftig die Werbetrommel gerührt, und davon profitieren wir natürlich.
Kutschenreuter: Ich kann das nur bestätigen, neben Michael Telecom sind wir auch Aetka-Partner und auch wir nutzen Fragprofis. Von Ihnen, Herr Ehrlich, habe ich auch schon Antworten gesehen. Der schöne Nebeneffekt ist, dass diese Antworten, die die Händler dort geben, auch sehr gut vergoogelt werden. Und wenn der Kunde nach einer Antwort auf eine Frage sucht, findet er automatisch diesen Händler und gegebenenfalls schon eine passende Antwort wieder. Das ist technisch ganz gut gelöst. Und da kommt wirklich auch gutes Feedback zurück.

Stichwort Suchmaschinen-Marketing: Erledigen Sie das selbst?
Kutschenreuter: Nein, das lassen wir machen. Der Aufwand wäre viel zu groß, sich darin einzuarbeiten und vor allem alle Änderungen immer zu berücksichtigen. Wir haben damit eine SEO-Agentur beauftragt. Die weiß genau, wann wo welches Produkt in welcher Schreibweise stehen muss – da zählen ja die verrücktesten Sachen. Das funktioniert gut, das belegen auch die Rückläufe.

Und rechnet sich das auch, schließlich ist das ja nicht eben günstig?
Kutschenreuter: Das steht in einem vernünftigen Verhältnis. Wenn ich diese Kosten zusammenrechne, dann ist es eigentlich meine Ladenmiete.

Der richtige Einsatz von Local-Commerce-Plattformen
Sie hatten ja auch einmal mit Kaufda zusammengearbeitet und dort auf der Plattform Ihre Angebote eingestellt. Heute machen Sie das nicht mehr, warum?
Kutschenreuter: Aus mehreren Gründen, einerseits ist Kaufda sehr Consumer-lastig, wir erreichen deshalb nur bedingt unsere Zielgruppe. Und andererseits ist das eher ein Portal für Schnäppchenjäger, und auf diesen Preiskampf wollen und können wir uns nicht einlassen.
Schipper: Wir nutzen Kaufda schon – aber eher wie Beilagen in Zeitungen. Das ist für uns immer noch ein klassisches Werbe¬medium, auf das wir nicht verzichten könnten. Kaufda wird dabei immer wichtiger, das merken wir an den steigenden Klickraten.
Kutschenreuter: Das hängt sicherlich von der Zielgruppe ab. Wir sind für bestimmte Kunden auch noch sehr analog unterwegs und machen häufig Post-Mailings für Ärzte und Anwälte. Das funktioniert hervorragend, und so mancher zieht nach drei Jahren einen von uns erhaltenen Brief aus dem Schreibtisch und sagt, jetzt möchte ich das Telefon kaufen. Die Zielgruppe und deren Präferenzen müssen den Takt vorgeben.

Was halten Sie von Local-Commerce-Plattformen, die derzeit teilweise mit Unterstützung der Städte an den Start gehen?
Schipper: Das sind so Krücken, um Kunden zu finden, aber ich glaube nicht, dass das funktioniert. Ich bin immer ein Pragmatiker. Ich suche Produkte, Hotels oder auch Restaurants zuerst auf Google und nicht auf einer lokalen Plattform.
Kutschenreuter: Ich stehe dieser Sache auch recht skeptisch gegenüber. Es gibt ja auch diese regionalen Top-Ten-Listen, auf denen die besten Shops nach Branchen sortiert gelistet sind. Ich glaube, dass die Plätze dort gekauft sind und am Ende nur den Betreiber der Plattform reich machen sollen. Dass dadurch neue, dauerhafte Kundenbeziehungen zustande kommen, glaube ich nicht.

Sie nutzen aber Koomio, auf der Plattform können Kunden online Geschäfte oder Produkte in ihrer Region suchen. Was ist dort besser?
Kutschenreuter: Ich kann dort entscheiden, welche Marken, Produktgruppen oder einzelne Produkte ich einstelle – und ich kann die Produkte auch bewerben. Der Vorteil ist in meinen Augen, dass Koomio sehr gut mit Suchmaschinen wie Google verbunden ist, Kunden suchen dort nach einem Produkt und erhalten regionale Angebote. Das funktioniert sehr gut, vor allem da ich auf meinen Laden und auch meinen Web-Shop verweisen kann. Das bringt jetzt nicht den wahnsinnigen Zulauf, aber es lohnt sich.
Schipper: Ich sage jetzt mal knallhart, 90 Prozent dieser Angebote haben keine Zukunft, ohne jetzt Namen zu nennen. Es gibt natürlich viele unerfahrene Händler, die auf diese Masche hereinfallen. Das gab es auch schon früher, auch offline. Da konnte man mit vielen Projekten viel Geld verbrennen und das Gleiche passiert nun hoch zehn im Online-Bereich. Deshalb muss man als Unternehmer eine klare Strategie haben und sagen, was man möchte. Mein Konzept würde bei Ihnen, Herr Kutschenreuter, nicht funktionieren.
Kutschenreuter: Und umgekehrt meines nicht bei Ihnen, das sehe ich genauso. Ich fürchte aber, dass viele Händler sich dem Internet noch verweigern und glauben oder hoffen, die Kunden bleiben ihnen auch in Zukunft treu.

Streitthema Same Day Delivery
Ein Trendthema im E-Commerce ist Same Day Delivery, die taggleiche Lieferung online bestellter Ware. Wird sich das Ihrer Meinung nach durchsetzen?
Ehrlich: Wenn ein gutes System dahintersteckt, kann das auch ein kleiner Fachhandel bedienen. Wenn die Distributoren und Kooperationen hier ihre Händler besser vernetzen würden, könnte das meiner Meinung nach für den Fachhandel ein System mit Zukunft sein.
Kutschenreuter: Ich weiß nicht, ob das so entscheidend ist. Klar, wenn ich etwas haben möchte, möchte ich es auch gleich haben. Aber dann gehe ich auch wieder in den Laden. Vielleicht bin ich da eher der altmodische Typ …
Schipper: Darauf wollte ich auch gerade hinaus. Der Kunde will die Ware ja auch nicht unbedingt gebracht haben, er kommt zu mir, weil er das Einkaufserlebnis haben möchte. Wir sind ja keine anonyme Abholhalle, bei uns sind Menschen und da sind auch Emotionen. Sollte sich Same Day Delivery doch etablieren, so kann Euronics das sicher leisten, und ich auch. Wir haben ja auch Techniker, die beim Kunden Ware reparieren, die können bei Bedarf Produkte ausliefern. Meiner Meinung nach sind die Zahlen noch im homöopathischen Bereich. Die Realität sieht doch so aus: Wenn ich ein Telefon wirklich noch am selben Tag haben möchte, bestelle ich es online und hole es dann ab.

Wie wichtig wird Cross-Channel oder Multichannel in fünf Jahren sein?
Kutschenreuter: Kurz und knackig: Ohne wird es nicht gehen.
Ehrlich: Noch nimmt Online bei uns nur einen sehr kleinen Stellenwert ein, wird aber immer wichtiger.

Herr Schipper, könnte Ihr Geschäft ohne Online-Engagement heute noch (über-)leben?
Schipper: Ich könnte überleben, ja sicher. Aber als Unternehmer muss ich ja heute an die Zukunft denken. Leider gibt es viele Unternehmer, die klagen, früher sei alles besser gewesen. Doch was hilft das? Ich könnte heute ohne Online-Shop überleben, aber ich sehe darin keine Zukunft. Im Gegenteil, die Kanäle werden in den nächsten Jahren immer mehr verschmelzen. Und wer auf einem Kanal nicht vertreten ist, hat in einigen Jahren keine Zukunft. Deshalb ist es heute wichtig, die Weichen zu stellen und beispielsweise mein Warenwirtschaftssystem so auszubauen, dass ich möglichst ohne Medienbruch Cross-Channel betreiben kann.

Herr Saibel, Sie waren vor ein paar Monaten noch skeptisch. Wie sieht es heute aus, hat Ihre Einstellung sich geändert?
Saibel: Offen gestanden arbeite ich jetzt noch immer zu 99 Prozent offline. Und auch wenn ich noch immer kein großer Fan vom Online-Handel bin (lacht), so muss ich mich doch dafür rüsten, wenn ich auch noch nicht genau weiß, wohin die Reise gehen wird – zumal ich ja nur einen kleinen Shop habe.
Schipper: Ich glaube aber, hier gilt immer noch das alte Sprichwort: Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Egal, welches Konzept gemacht wird, man muss einfach dabei sein und etwas tun. Und dann hat man auch eine Chance gegen den reinen Pure Player wie Amazon, der ja immer wie eine dunkle Wolke über uns schwebt. Ich bleibe dabei, dass 90 Prozent der reinen Online-Shops in zehn Jahren vom Markt verschwunden sind. Das gilt vor allem für diejenigen, die als Anhängsel von Amazon und Co. auftreten, denn dort zählt nur der Preis und kein anderes Konzept und deshalb haben die keine Zukunft.

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