11. Android kommt zum Desktop - 21.07.2017

Spezielle Smartphones für professionelle Anwender sind selten geworden, Produkte wie Nokias E-Serie längst Handy-Geschichte. In den meisten Unternehmen kommen handelsübliche Smart­phones­ wie iPhones oder die Galaxy-S-Reihe von Samsung zum Einsatz, die von den Herstellern eigentlich für das Consumer-Geschäft entwickelt wurden, das ihnen deutlich höhere Absatzzahlen verspricht.Auch bei den Betriebssystemen von Smartphones haben Firmenkunden wenig Auswahl, denn zu Android und iOS gibt es kaum noch Alternativen. Das früher so beliebte BlackBerry OS ist praktisch tot, seit der Hersteller auf Android setzt und Smartphones von TCL/Alcatel leicht modifiziert verkauft, anstatt eigene Hardware zu entwickeln.

Microsoft zieht sich zurück

Viele professionelle Anwender werden zudem den weitgehenden Rückzug von Microsoft aus dem Smartphone-Bereich bedauern, denn mit Windows 10 könnte eigentlich ein Betriebssystem alle Endgeräte im Unternehmen bestücken, was die Administration deutlich erleichtern würde. Welche Strategie der Software-Riese fährt, ist unklar: Der Einstellung der Produktion der eigenen Lumia-Smartphones folgte bisher nichts Neues, auch etwaige Surface-Phones geisterten bisher nur durch die Gerüchteküche.

Derzeit sollen Fremdhersteller das mobile Windows weiterführen und das Hardware-Programm unterhalb der aktuellen Surface-Serie von 2-in-1-Geräten von Microsoft komplettieren. Doch nur wenige Smartphone-Schmieden haben es gewagt, Windows zu adaptieren, wobei bei manchen schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit eine Rolle spielen. Auch wenn keiner den Software-Riesen öffentlich kritisiert, verwiesen viele Vertreter inoffiziell auf eine mangelnde Unterstützung bei der Vermarktung von Windows im mobilen Bereich, fehlende Apps und daraus resultierend wenig Marktpotenzial. Auch ein von Microsoft nicht zu erhaltendes klares Bekenntnis zur Zukunft des mobilen Windows verbessert die Lage nicht gerade.

Aktuell gibt es nur drei Produkte mit Windows auf dem deutschen Markt, die alle im oberen Preissegment positioniert sind: das Acer Liquid Jade Primo, ein klassisches Smartphone, das nach Angaben des Herstellers vor allem im Projektgeschäft mit Unternehmen verkauft wird, das HP Elite X3, das mit seinem 6-Zoll-Bildschirm in puncto Größe eigentlich die üblichen Smartphone-Dimensionen sprengt, und jetzt das Alcatel Idol 4 Pro.

Alcatel: Premiere mit Windows

Wir haben uns jetzt das Alcatel, das im Gegensatz zu den beiden anderen Geräten auch aktiv über den TK-Fachhandel vermarktet werden soll, genauer angesehen. In den USA wurde ein technisch sehr ähnliches Modell schon vergangenes Jahr angeboten, jetzt kommt das Smartphone für stolze 599 Euro auch nach Deutschland. Dabei wird die Marke Alcatel traditionsgemäß wohl kaum mit Business-Produkten assoziiert, doch inzwischen gehört dieses Segment dort zur erklärten Strategie. Dabei will man vor allem eine breite Palette anbieten, zu der auch 2-in-1-Geräte wie das neue Plus 12 gehören, die ebenfalls Windows nutzen. „Für das Idol 4 Pro sehen wir durchaus einen Markt, besonders bei mittelständischen Kunden“, erklärt Ilja von ­Eigen, Country Sales Manager Germany bei TCL Communication, dem Hersteller hinter der Marke Alcatel.

Die Basis des Business-Smartphones ist das Idol 4S, das mit Windows 10 versehen wurde. Optisch ist es Business-tauglich, denn das sieben Millimeter dünne Gehäuse aus gehärtetem Glas wirkt hochwertig und dezent. Ein Highlight ist das leuchtstarke Super-Amoled-Display mit immerhin 14 Zentimetern Diagonale, das sich auch bei Sonnenlicht gut ablesen lässt.

Mit dem bewährten Snapdragon-820-Vierkern-Prozessor und 4 GB RAM sollte eigentlich genug Hardware-Leistung zur Verfügung stehen, beim Test haben wir aber dennoch manchmal beim Aufrufen und Verlassen von Apps Verzögerungen festgestellt, die es bei Android- und iOS-Topmodellen nicht gibt. Weniger auf Business-Anwender zielen die 21-Megapixel-Rückkamera, die zumindest bei guten Lichtverhältnissen schön scharfe Bilder schießt, und die klangvollen Stereolautsprecher auf der Ober- und Unterseite des Geräts. Profis werden dagegen Sicherheits-Features wie den Fingerabdrucksensor auf der Rückseite und das umfangreiche Software-Paket schätzen. Allerdings sind bei Windows ­einige Features wie die Einrichtung eben dieses Fingerabdruckscanners tief in den Einstellungen versteckt.

Insgesamt macht das Gerät einen ordentlichen Eindruck und hat keine großen Schwächen, auch wenn es sich mit der nicht mehr ganz taufrischen Hardware nicht zu Höchstleistungen, die dem Preis entsprechen würden, aufschwingen kann. Ein vergleichbares Idol 4S des gleichen Herstellers mit Android gibt es schon für rund 400 Euro.

Samsung Dex macht Smartphones zum Desktop

Wer kein Windows nutzen möchte, muss als Betriebssystem auf iOS oder Android zurückgreifen. Das Apple-Betriebssystem ist immer an die teure Hardware des Herstellers gebunden und für viele Unternehmen keine Alternative. Für Android gibt es dagegen auch im professionellen Bereich Argumente, neben der sehr großen Hardware-Auswahl sind das immer mehr spezielle Business-Apps und weitergehende Modifikationen des Betriebssystems für Unternehmen durch einige Hersteller, vor allem was die Sicherheit betrifft.

Sehr aktiv ist hier Samsung, wo mit Knox ein Sicherheitskonzept entwickelt wurde, das Smartphones mit Android Business-tauglicher macht. Als neuer Dienst ist seit Juni Knox Configure verfügbar, mit dem Administratoren per Fernzugriff über die Cloud mobile Endgeräte einrichten und verwalten können.Verbunden mit Dex.

Den Einsatz seiner Smartphones im Business-Bereich will Samsung auch mit der Docking-Lösung Dex für das Flaggschiff Galaxy S8 vorantreiben. Ähnliche Konzepte zum mobilen Arbeiten gab es bisher vor allem für Windows, etwa mit dem Continuum Dock von Microsoft, dessen Verkaufserfolg aber begrenzt blieb. Auch das Liquid Jade Primo von Acer und das Alcatel Idol 4 Pro lassen sich an einen ­Monitor anschließen. Bisher litten viele Erweiterungslösungen aber an begrenzten Rechenleistungen der Smartphone-Chips und wenig Speicher, erst die aktuellen High­­end-Geräte sind auch dank separater Anwendungsprozessoren so stark, dass ein echter virtueller Desktop mit Multitasking komfortabel genutzt werden kann.

Dex geht weiter als andere Lösungen, denn es besteht nicht nur aus einem Dock, sondern verändert auch die Benutzeroberfläche von Android 7, so dass es auf einem Monitor für die Bedienung per Maus und Tastatur angepasst wird. Außerdem ist es kompatibel zu Microsoft Office und Programmen von Adobe. Remote-Zugriffe auf PCs sind über Lösungen von Citrix oder VMware möglich.

Die Dex Station ist ein kompakter, 230 Gramm leichter runder Ständer, in den das Galaxy S8 eingesteckt wird. Per HDMI-Kabel wird Dex mit einem HDMI-fähigen Monitor verbunden, Maus und Tastatur können per Bluetooth oder USB angesteuert werden. Die Station umfasst auch eine Schnellladefunktion für das S8 und einen Ethernet-Anschluss. Dass keinerlei Kabel beiliegen, ist angesichts des Preises von 149 Euro ärgerlich.

Im Test machte zunächst die schnelle und einfache Einrichtung Spaß: Nachdem das Smartphone in die Halterung gesteckt wird, startet die Dex-Software automatisch und der angepasste Bildschirm von Android weitet sich zu einer großen, Windows-ähnlichen Benutzeroberfläche, die den Monitor komplett ausnutzt.

Die Übertragung ist mit bis zu 4K möglich, doch schon mit Full HD ist das optische Erlebnis hochwertig. Für Dex optimierte Apps wie das Office-Paket von Microsoft lassen sich problemlos nutzen, auch Surfen im Internet macht viel Spaß – das hohe Tempo aller Vorgänge zeigt, wie leistungsfähig das Smartphone als Basis ist. Nur ganz selten passiert es, dass sich Programme wie Excel einfach schließen und wieder neu gestartet werden müssen. Während des Arbeitens auf dem Desktop kommen auch Anrufe und Nachrichten auf dem Telefon weiter an. Der phasenweise starken Hitzeentwicklung des Smartphone-Gehäuses, die durch die harte Arbeit des Prozessors bedingt wird, wirkt eine eigene Kühlung im Dock entgegen.

Noch ist Dex angesichts der Hardware-Ansprüche nur mit den beiden Galaxy-S8-Modellen nutzbar, doch auch die zukünftigen Highend-Geräte des Herstellers sollen kompatibel sein. Ob sich das Konzept im Gegensatz zu früheren Projekten durchsetzen kann, muss die Zukunft zeigen, denn die große Mehrheit der professionellen Anwender wird lieber weiter zum Arbeiten separate Geräte wie Notebooks oder 2-in-1-Produkte nutzen wollen. Doch wer auf der Geschäftsreise mal eben Tabellen im Großbild auf dem Hotelfernseher bearbeiten will oder eine Projektionsfläche für PowerPoint braucht, wird Dex schätzen lernen. Android – und auch Samsung – bekommen damit auf jeden Fall mehr Gewicht bei professionellen Anwendern.

Klartext

Samsungs Dex-Lösung ist eine Bereicherung, vor allem weil sie in Kombination mit dem Galaxy S8 sehr leistungsfähig und einfach zu nutzen ist. Doch wirklich neu ist die Idee nicht, denn Microsoft zeigte schon vor Jahren ein ähnliches Konzept, das aber zu viele Probleme in Detail hatte. Statt es zu optimieren, scheint der Software-Riese seine Smartphone-Aktivitäten eher aufzugeben. Das ist unverständlich, denn dass Windows 10 auch auf kleinen Bildschirmen gut funktioniert, zeigen Produkte von Fremdherstellern wie das Alcatel Idol 4 Pro.

Kommentare 0